Schafft es die Dygma Raise im Alltag ihrem eigenen Premium-Anspruch gerecht zu werden? Ist »Split« wirklich alltagstauglich? Kann man die Raise empfehlen und wenn Ja, für wen?
Hier wird meine persönliche Erfahrung (natürlich) zur Meinung. Subjektiv, fair und unfair zugleich, menschlich, unbezahlt.
Los gehts:
Angriff der Bio-Zitrone
Ich behauptete bereits zuvor, dass die Raise polarisiert. Das schafft sie sogar bei mir. An manchen Tagen halte ich das Konzept für die beste Idee seit man Luft atmen kann, aber an anderen Tagen denke ich, dass sich nur wenige Schneeflocken dauerhaft auf die Raise einlassen können. Für wen was zutrifft, kann jeder selbst entscheiden. Ich mag die Raise. Ich mag auch Zitronen. Was haben Zitronen mit der Tastatur zu tun? Nichts. Aber es lag gerade eine auf dem Tisch, als ich die Bilder für den heutigen Blogeintrag gemacht habe.

Tastaturdesign der Dygma Raise im Alltag
Man sollte sich im Klaren sein, dass das grundlegende Design der Raise einige Dinge einfach anders macht. Wer sich nur Bilder von einer Tastatur ansieht, dem wird nicht ausreichend klar, auf was man sich da einlässt.
F-Tasten
Fehlen. Zumindest ist die Reihe nicht physikalisch verbaut. Die oberste Tastenreihe ist die Zahlen Reihe, die statt mit der ^-Taste mit ESC startete und dann von 1 bis Backspace keine Überraschung mehr bringt.
Natürlich können wir dennoch F-Tasten nutzen. Entweder per Doppelbelegung, wie FN-Zahlentaste oder wir basteln uns ein Layer, das die F-Tasten hinlegt, wo wir sie haben wollen.
Viele Layouts lassen die F-Reihe weg. Kein großes Ding und die meisten Benutzer werden das auch nicht vermissen.
Mediensteuerung
Ohne F-Tasten muss man die Mediensteuerung (Abspielen, Stopp, Titel vor oder zurück, lauter, leiser, etc.) ebenfalls einfach irgendwohin legen. Entweder wir legen das irgendwo in unser Standardlayer mittels Tastenmodfikator, oder wir bauen direkt ein Layer für alle Funktionen, die über das unausgereifte, was auf den Tastenkappen angedruckt wurde. Macht, was ihr mögt 🙂
Fehlende Pfeiltasten
Die Dygma Raise hat keine eignen Pfeiltasten. Wer schon mal an einer Tastatur ohne solche Tasten saß, der stimmt mir vermutlich zu, dass es genau jene Tasten sind, von denen man erst weiß, wie sehr man sie vermisst, wenn sie weg sind.
Dygma empfiehlt hierzu, die Pfeiltasten z. B. auf WASD zu legen, oder auf die rechte Seite alá IJKL. Das Ganze springen wir dann per Layer-Wechsel kurz an, wenn wir es benötigen und müssen dann zumindest eine Hand nichtmal einen Moment aus der Grundstellung bewegen.
Natürlich könnt ihr wieder die Tasten hinpacken, wo es euch am besten passt. Der Konfigurator löst mit euch auch die abwegigsten Ansprüche und Vorstellungen.
Insgesamt ist die Idee schon OK. In der Praxis nervt es mich dennoch. Pfeiltasten sind einfach nicht gut künstlich zu ersetzten für mich.
Obere Leertaste(n)
Die obere Leertaste besteht hier nicht aus einer, sondern aus vier Tasten. Die können alle benutzt werden, um ein Leerzeichen zu tippen. Das wäre aber doch arg langweilig, oder? Ja! Und eine Verschwendung wäre das vermutlich auch.
Die meisten Menschen tippen die Leertaste immer mit dem gleichen Daumen an genau der gleichen Stelle an. Es ist also sinnvoll nur jene Taste für ein Leerzeichen zu nutzen, die wir ohnehin dafür tippen. Die anderen drei Tasten belegen wir vielleicht lieber anders. Du hast Probleme blind das @-Zeichen zu tippen? Dann leg es doch auf eine dieser Tasten.
Du tippst beim Fragezeichen immer daneben? Dann leg doch das ß-Zeichen auf eine dieser Tasten und stell zudem ein, dass die Taste immer mit dem Modifikator „Shift“ (Umschalttaste) ausgelöst wird. Schon wird immer ein ?-Zeichen erstellt.
CMD-Backspace nutzt du oft? Leg es dir doch schon fertig auf eine dieser Tasten.
Untere Leertasten
Wir haben vier weiter Leertasten, die flach unter der eigentlichen Leertastenreihe liegt. Unsere Daumen werden keine Langeweile bekommen, wenn wir alles ausschöpfen, was man damit so machen kann. Und das werden wir wohl niemals ausschöpfen. Warum? Weil es zu viele Möglichkeiten birgt:
Fast unbegrenzte Möglichkeiten
Die Raise kann mehr, als es Menschen guttut. Nehmen wir mal die Möglichkeiten an einer einzigen Zusatzleertaste. Legen wir hier mal in jedes der zehn Layer zum Spaß eine eigene Zahl drauf. Im Layer Null ist also die 0 auf der Taste, im Layer Eins die 1 und so weiter.
Die Taste hat also im reinen Tastendruck schon 10 verschiedene Ausgabewerte basierend auf dem aktuellen Layer.
Nehmen wir nun die Shift-Taste hinzu haben wir schon 20 verschiedenen Rückgaben. Shift ist aber nicht die einzige Modifikator-Taste. Nehmen wir die 4 typischen Modifikatoren (Raise kann mehr … Natürlich), sind wir schon bei 80 Werten auf einer Taste. Exotische Kombinationen sind da noch gar nicht dabei. Denn dir Raise kann auch ein „Haltetaste gedrückt“ als Modifikation einstellen. Und ehe wir uns versehen, haben wir übern Daumen 1 Million Funktionen auf einer Daumentaste.
Das Beispiel ist absurd und nur zur Verdeutlichung konstruiert. Wer so einen Unfug wirklich machen würde, der baut hauptberuflich Aluhüte und hat keine Computer mehr im Haus.
Ergonomie und Erziehungseffekt
Die ergonomischen Vorteile der Raise sind einer der Sellingpoints von Dygma. Und in der Tat gibt es zwar mittlerweile einige Spilt-Tastaturen auf dem Markt aber bisher kam mir kein Modell unter, was diesen Ansatz so gut verfolgt. Es fehlen noch Tenting-Kits (solche Kits heben die Tastaturen passend zur Handhaltung an), aber diese sind in der Mache.
Die Idee ist klar, wir teilen die Tastatur in zwei Hälfen, um uns eine ergonomische Arbeitsweise zu ermöglichen. Die Hände müssen nicht mehr unnatürlich angewinkelt werden, wir legen die Hälften einfach so auf den Tisch, dass sie unserer Armhaltung folgt. Die wirklich guten Palmrests entlasten die Finger zusätzlich.
Erzogen werden wir auch: Wer die Tastatur im vorgesehenen Split betreibt, kann nicht mehr so viel wie sonst beim 10-Fingerschreiben schummeln. Ich drücke „B“ eigentlich gerne auch mal mit dem rechten Zeigefinger. Das geht nicht, wenn das B nur vom linken Zeigefinger noch erreichbar ist.
Die Kompromisse
Dygma war klar, dass der ergonomische Ansatz zwar einer der Hauptmerkmale seien würde, aber auch, dass man nicht 100 Prozent konsequent seien darf, wenn man noch auf Käufer hofft. Wenn man so will, sind wir Menschen leider ziemlich unwiderruflich versaut, was Tastaturbenutzungen angeht. Wir wachsen so auf und stellen das auch nicht genug infrage, ob und wie ein gutes Layout aussehen müsste. Stur nutzen wir ein Design aus den früheren Tagen der Schreibmaschinen.
Nun ja, man hätte jetzt versuchen können, auch das zu revolutionieren. Klar. Es hätte nur weder Bankkredit noch Käufer gefunden. Man kann einfach mal die Verbreitung von DVORK, Adnw, Colemak und andere Alternativen betrachten, dann wird klar, dass Idealismus zwar nicht Tod ist, es setzt sich nur leider nicht mehr durch.
Welche Kompromisse musste Dygma also eingehen? Diese:
- Die Tastenanordnung ist weiterhin „staggered“. Das heisst, die Anordnung der einzelnen Tasten je Reih eist leicht versetzt. Eine lineare Ausrichtung wird zwar immer wieder mal versucht. Setzt sich aber vermutlich nie durch. Muss auch nicht; staggered ist schon OK. Wirklich.
- Man kann beide Tastaturhälften zusammenschieben und erhält ein ausreichend starr sitzendes Layout, das sich nicht mehr sonderlich von althergebrachten Tastaturen unterscheidet.
Das sind gut Entscheidungen. Statt stur nur auf Ergonomie zu schauen, wurden sinnvolle Kompromisse geschlossen. So ist die Hürde zum Umstieg für Jedermann auch erträglich. Wer partout nicht hinbekommen wird, den Split seinen Fingern beizubringen, der nutzt die Raise einfach ohne den Split und hat immer noch eine hervorragende Wahl getroffen. Oder?
Musclememory – wenn die Finger ihr Ding allein machen
Beim 10-Fingerschreiben denken wir nicht mehr aktiv nach. Zumindest nicht bei den ca. 1000 häufigsten Wörtern jener Sprachen in denen wir regelmässig tippen. Das machen die Finger irgendwann ganz allein. Das nennt sich Musclememory und ist neben Schreiberlingen vor allem Musikern bekannt. Unser Gehirn macht die Dinge mit unseren Fingern zusammen aus, ohne uns zu benötigen. Wir tippen einfach.
Aber wir tippen so auch nur dann erfolgreich, wenn unsere Finger gewohnt sind, „wo“ genau Tasten liegen. Und hier wird so manche ergonomische Überlegung dann doch zum Problem.
Ich vermute, unsere Finger haben auch ein eigenes Gefühl dafür, wie der Abstand zueinander zu jeder Zeit seien müsse. Das merke ich besonders dann, wenn ich den Abstand der Raise-Hälften auch nur leicht verstelle. Meine Finger brauchen dann wieder einige nervige Momente, bis ich die Tasten treffe. Ganz so, wie wir auch stolpern, wenn sich nach 100 Treppenstufen der Höhenunterschied zur 101sten Stufe leicht ändert.
Wie sieht denn nun der Alltag mit einer Dygma Raise aus?
Nachdem ich alle möglichen Spielereien mal ausprobiert hatte, bin ich zurück zu einem sehr minimalen Funktionsumfang. Ich nutze insgesamt nur zwei Layer:
- Layer 0 hat hauptsächlich nur das eingestellt, was auch wirklich auf den Tastenkappen aufgedruckt ist. Die oberen vier Leertasten sind alle „Leertasten“ (ja, tut mir auch weh). Die untern vier Leertasten sind meine Pfeiltasten.
- Layer 1 hat die Mediensteuerung auf der Grundreihe der linken Hand. Mehr nicht. Wenn ein Song in Spotify gewechselt ist, geht es direkt wieder zurück nach Layer 0.
Der ergonomische Split wird ab und an noch genutzt. Und wenn, dann nur mit ganz leichtem Split über wenige Zentimeter. Das reicht schon für eine verbesserte Handgelenkhaltung. Und weitere Distanzen erschweren für mein Hirn nur das Tippen. Oft lasse ich die Raise daher auch zusammengeschoben.

Das liegt aber an mir. Ich kann und will mich nicht zu weit auf die Raise einlassen. Warum? Weil ich in meinem Leben immer und immer wieder auch an anderen Computer, Laptops, Mobilgeräten sitze. Und wo auch immer eine Tastatur zu bedienen ist, möchte ich, dass ich da schnell klarkomme.

Würde ich meinem persönlichem Musclememory erlauben, sich ganz und gar auf die Raise zuzuschneiden, dann würde mir das mein Leben – an allen anderen Orten als meinem Homeoffice – erschweren.
Hätte ich z. B. wirklich das ?-Zeichen auf einen Daumen gelegt, dann würde in naher Zukunft an jeder anderen Tastatur wieder Probleme bekommen, die Taste blind zu treffen.
Pfeiltasten, wie Dygma es vorschlägt, auf ein anderes Layer zu schieben, war nicht mein Ding. Es klingt so toll: Finger bleiben auf WASD, Layer wechseln mit einer Taste der rechten Hand, dann mit der Linken die Pfeile nutzen und am Ende wieder zurück zu Layer 0 und wie zuvor weiterschreiben. ERGO pur! Kein Absetzten der Hände. Keine Unterbrechung im Arbeitsablauf. Nur leider, bekomme ich das so nicht gut hin. Wenn ich Pfeiltasten nutze, dann meist in Kombination mit Shift, um Textstellen genau zu markieren. Und dafür zweimal ein Layer zu wechseln ist einfach – tut mit Leid – viel schlechter, als wenn man einfach klassische Pfeiltasten auf der rechten Seite hat. Ergo hin oder her, ich komme auch blind an solche Pfeiltasten. Aber: Dygma verteidigt beständig dieses Layout, wir können wohl abhaken, dass es je eine Raise samt echter Pfeiltasten geben wird.
Sonst sei noch erwähnt, die Raise bringt mit drei Kabeln am Neuron eine mehr an Kabelsalat mit sich, was die Ästheten unter uns abschrecken könnte. Es wird aber wohl auch eine Wireless-Tastatur von Dygma bald geben. Keine Raise, aber mit dem Geist der Raise im Bauch. Warten wir mal ab.
Fazit zur Dygma Raise im Alltag
Die Raise ist toll. Aber sie ist auch fordernd. Lieben kann sie nur, wer sich ausreichend mit ihr beschäftigt. Vielleicht ändert die Raise dann wirklich euer Schreibleben. Oder aber, ihr endet neben mir, mit einer Tastatur voller Möglichkeiten, von denen ihr alles mal probiert habt, aber dann für den Alltag kaum etwas nutzt. Das schmerzt ein wenig. Ich werde der Tastatur nicht gerecht. Meine Anforderung ist viel zu flach (pures Schreiben, ab und an mal Gaming. Ich programmiere nicht – dort kann die Raise sicher richtig glänzen).
Empfehle ich nun also die Raise? Nein. Mach ich nicht. Ihr müsst sie euch schon selbst empfehlen oder es lassen. Mein Blogpost soll euch dabei helfen.
Bist du ein Schreiber, der der Raise ein Zuhause geben kann? Wenn ja, dann räume dir und ihr bitte ein bisschen Zeit zum Lernen ein.
Schön ist sie schon!

Links
Die Dygma Raise kauft ihr direkt beim Hersteller Dygma